"Mit anderen Worten: ich" | Tamara Ireland Stone | Magellan Verlag
Worte zählen nicht zu Samanthas Freunden. Im Gegenteil: in endlosen Gedankenschleifen verfolgen sie Sam und hindern sie daran, ein normales, unbeschwertes Leben zu führen. Aus Angst, als verrückt abgestempelt zu werden, verheimlicht Sam ihren täglichen Kampf sogar vor ihren Freundinnen. Nur die unkonventionelle Caroline sieht hinter Sams Fassade und lädt sie ein, sich einem geheimen Dichterklub anzuschließen. Hier erlebt Sam zum ersten Mal die befreiende Kraft von Worten und kommt sich seit langer Zeit selbst wieder nahe. Als sie sich in den klugen, zurückhaltenden AJ verliebt und gerade beginnt, vorsichtig auf ihr neues Glück zu vertrauen, stellt eine unerwartete Entdeckung alles infrage.Dieses Buch ist so wichtig. Die sechszehnjährige Sam leidet schon ihr ganzes Leben lang unter Zwangsstörungen, die ihren Alltag zu bestimmen scheinen. Sie bekommt jegliche Unterstützung von ihren Eltern und einer Therapeutin, doch letzten Endes hängt es nur von Samantha allein ab. Für sie spielt die Zahl 3 eine große Rolle: Wenn es ihr schlecht geht oder sie etwas bestimmtes machen muss, wiederholt sie dies ganz oft dreimal. Leute, die unter Zwangshandlungen leiden, fühlen sich erst dann befriedigt, wenn sie eine Handlung auf die für sie richtige Art und Weise durchgezogen haben. Oftmals durch Wiederholungen.
Ich habe mich während der Schulzeit sehr stark mit dem Thema "Zwangsgedanken und Zwangshandlungen" auseinandergesetzt und unter anderem eine Facharbeit darüber geschrieben. Meiner Ansicht nach ist dieses Thema sehr sehr wichtig, denn viele Menschen leiden darunter, ohne es ihren Mitmenschen mitzuteilen. Entweder bewusst oder unbeabsichtigt, weil sie denken, ihr Verhalten sei normal. Häufig hängen Zwangsstörungen mit Depressionen zusammen, weswegen eine Therapie oftmals notwendig ist, um diesem Trott zu entkommen.
Jeder hatte mit Sicherheit schon einmal das Gefühl, die Tür nicht richtig abgeschlossen oder dass sie den Wecker nicht gestellt haben, nur um nach der Kontrolle festzustellen, dass sie es bereits getan haben. Menschen mit Zwangsstörungen wissen oftmals, dass sie eine gewisse Handlung schon ausgeführt haben, doch sie müssen erneut nachschauen. Und nochmal und nochmal. Ihr Gehirn gibt keine Ruhe, bis sie die Handlung genug wiederholt haben. Vorher fühlen sie sich nicht sicher.
Zurück zum Buch: Es gab so viele Szenen, in denen ich schlucken musste. Ich hatte das dringende Bedürfnis, Sam zu helfen. Ins Buch zu klettern und sie ordentlich durchzuschütteln. Aber selbst das hätte ihr nicht geholfen. Der Schreibstil der Autorin ist atemberaubend gut und wunderschön poetisch. Mit so viel Gefühl beschreibt sie Samanthas scheinbar aussichtslose Lage und lässt den Leser dabei großes Verständnis für sie aufbringen. Man liest, wie sie sich fühlt und spürt eine Beklommenheit. Denn irgendwie versteht man sie. Aber irgendwie auch nicht.
Es ist interessant zu sehen, wie Samantha auf manche Impulse reagiert. Während sie in der Öffentlichkeit versucht, ihr Gefühlschaos zu verbergen, unterdrückt sie dadurch nur ihre Situation und kapselt sich so von ihren Freunden ab. Nie fühlt sie sich wirklich dazugehörig.
Doch dann trifft sie auf Caroline, bei der sie sich nicht verstellen muss. Caroline scheint, ihr Verhalten genau zu verstehen und zu akzeptieren. Während Fremde sie als "Verrückte" abstempeln, findet sie in dem Dichterklub, dem sie beitritt, neue Freunde. Es ist herzergreifend.
Die Liebe, die sich zwischen Sam und AJ entwickelt, ist so echt und bedingungslos, dass es mir ein Vergnügen war, mehr zu lesen.
Und dann kommt das Ende. Und da ist die ganze Zeit so viel mehr, doch erst am Ende versteht der Leser. Wow, ich war tagelang kurz davor, direkt noch einmal in die Geschichte zu versinken, denn es machte plötzlich so viel Sinn. Ich konnte lange nicht aufhören, über "Mit anderen Worten: ich" nachzudenken. Es hat einen besonderen Platz in meinem Herzen eingenommen.
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